Kaum eine Zeit im Jahr ist emotional so aufgeladen wie die Wochen vor Weihnachten. Viele Menschen geraten durch Terminfülle, die Jagd nach passenden Geschenken und die Planung einer perfekten Familienfeier an ihre Grenzen. Im Interview erklärt Prof. Dr. Julia Jäkel, warum wir an den Feiertagen in alte Familienmuster zurückfallen, welche psychologischen Mechanismen hinter dem Schenkstress stecken und warum die meisten Neujahrsvorsätze bereits im Januar scheitern.
Zwischen Glühwein und Geschenkejagd
Frau Prof. Jäkel, an Weihnachten empfinden viele Menschen eine Art emotionaler Zeitreise und fallen in alte Familienmuster zurück. Welche psychologischen Mechanismen stecken dahinter, und warum sind gerade die Feiertage so anfällig dafür?
Weihnachten ist in unserer überwiegend christlich geprägten Kultur trotz Säkularisierung das wahrscheinlich wichtigste Fest des Jahres. Jede Familie hat hier eigene Rituale und Traditionen, aber für die meisten ist Weihnachten verknüpft mit gegenseitigen Besuchen von Familienmitgliedern verschiedener Generationen, oft über mehrere Tage, und hohen Erwartungen z.B. an Harmonie untereinander. Das kann sehr schön sein, aber auch stressen.
Warum ist der gesellschaftliche Druck einer „perfekten Weihnacht“ so ausgeprägt und wie können wir in dieser Zeit unsere Gelassenheit bewahren?
Gemeinsame Familienrituale an Feiertagen sind bei vielen von uns nicht mehr so regelmäßig und allgegenwärtig wie in früheren Jahrhunderten. Weihnachten als jährlich antizipiertes „Event“ erhöht die Erwartungen an uns selbst und andere, während wir gleichzeitig vielleicht gar nicht mehr so gewöhnt sind, ausgedehnt Zeit miteinander zu verbringen. Unstimmigkeiten, Probleme oder Konflikte, die im Alltag untergehen, können so plötzlich zum Thema werden. Hinzu kommen Termindruck, gestiegene Mobilität und in vielen Familien vielleicht auch finanzielle Sorgen, ob das Geld für Geschenke reicht. Um uns selbst nicht unter Druck zu setzen oder setzen zu lassen, können wir z.B. bereits im Vorfeld ehrlich Erwartungen und Pläne für die Feiertage besprechen. Erwartungsmanagement bedeutet auch, mit kurzfristigen Abweichungen zu rechnen und uns selbst zu fragen, ob unsere Ansprüche an andere vielleicht zu hoch sind.
Schenken gilt als Ausdruck von Liebe. Welche tieferen emotionalen Bedürfnisse werden durch das Ritual des Schenkens adressiert?
Schenken ist marktwirtschaftlich geprägt. Dieser Zusammenhang wird sehr anschaulich im Buch „Der Konsum der Romantik“ beschrieben. Aus meiner Sicht sind materielle Geschenke kein Ausdruck von Liebe, auch wenn das in unserer gesellschaftlichen Sozialisation häufig so scheint. Natürlich vermitteln Überraschungen und Geschenke die Botschaft, dass wir einer Person etwas Gutes tun wollen, an sie denken, sie liebhaben. Das muss aber nicht teuer sein. Das emotionale Grundbedürfnis für beide Seiten, Beschenkte wie Schenkende, ist im Kern die Botschaft „Du bist mir wichtig und ich habe Zeit bzw. Geld investiert, um dir eine Freude zu machen.“ Eine Variante wäre, gemeinsame Zeit zu schenken, z.B. ein Tagesausflug mit den Großeltern oder eine Einladung zu einem besonderen Essen. Schön ist auch ein persönlicher, handgeschriebener Brief. Zeit und Achtsamkeit für eine solche Botschaft können wertvoller sein als jedes gekaufte Geschenk.
Aus der Perspektive der Positiven Psychologie: Könnte der wiederkehrende Weihnachtsstress nicht auch zu größerer Resilienz oder einem besseren Familienmanagement führen?
Ja, theoretisch schon. Resilienz ist dann möglich, wenn wir es schaffen, trotz Stress und Erwartungsdruck verschiedener Akteure gelassen und positiv zu bleiben. Ehrliche Kommunikation, auch im Vorfeld, ist dafür wichtig, auch damit wir andere nicht mehr als nötig vor den Kopf stoßen, wenn wir unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse umsetzen.
Den Weihnachtswünschen folgen die Neujahrsvorsätze. Deren Erfolgsquote liegt bei ca. acht Prozent. Warum scheitern die meisten Vorsätze, und welche Rolle spielt dabei das Timing um den Jahreswechsel?
Generell gilt für die meisten guten Vorsätze, dass sie eher funktionieren, wenn sie tatsächlich machbar sind und zu langfristigen Veränderungen im Lebensstil führen. Wir sollten uns also selbst beobachten und uns fragen, welche persönlichen Strategien uns grundsätzlich helfen, unsere Ziele umzusetzen. Das können kleine tägliche Belohnungen sein, Ablenkung oder soziale Motivation durch andere. Ich finde, man kann sich selbst gut „austricksen“ wenn man die eigenen Selbstregulationsstrategien reflektiert und bewusst einsetzt. Haben wir im Alltag allerdings nur wenige Ressourcen, um uns zum Durchhalten zu motivieren, kann es schwierig werden. Die dunklen, regnerischen Wintermonate nach dem Jahreswechsel tun dann ihr Übriges, dass wir uns vielleicht eher nach Süßigkeiten und Entspannung auf der Couch sehnen…
Wenn man das Konzept der „Implementation Intentions“ als Strategie zur Selbstregulation zugrunde legt: Wie müsste ein guter Vorsatz formuliert sein, damit er bessere Chancen hat, ins Verhaltensrepertoire überzugehen?
Studien haben gezeigt, dass ansatzorientierte Ziele, z.B. regelmäßiger Sport zu treiben, besser funktionieren als vermeidungsorientierte Ziele wie der Verzicht auf Alkohol und Süßigkeiten. Darüber hinaus gilt, je spezifischer, messbarer, akzeptierter, realistischer und zeitlich begrenzter gute Vorsätze sind, desto größer die Erfolgschancen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Jäkel.