Statistik spielt in der Wissenschaft eine wesentliche Rolle. Daten werden erhoben und ausgewertet, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Neben der klassischen Statistik, die den Fokus auf Signifikanztestung setzt, kommt immer häufiger auch die bayesianische Statistik zum Einsatz. Prof. Dr. Daniel Schad lehrt Quantitative Methoden an der HMU und erforscht diese Statistik-Methode. Gemeinsam mit zwei Co-Autoren hat er das Fachbuch „Introduction to Bayesian Data Analysis for Cognitive Science“ veröffentlicht. Im Gespräch erläutert er, was es mit der Bayes-Statistik auf sich hat und welche neuen Ansätze sie liefert.
Neues Statistik-Buch für die interdisziplinäre Forschung

Herr Professor Schad, was hat Sie dazu bewogen, sich so intensiv mit bayesianischer Statistik zu befassen?
In der Psychologie, aber auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen hat sich gezeigt, dass die klassische Statistik durchaus angreifbar ist. 2015 hat man rund 100 Experimente aus früheren Jahren nachgebaut und dieselben Tests noch einmal durchgeführt. Weniger als die Hälfte kamen zu denselben oder vergleichbaren Ergebnissen. Dies führte zu der Frage, wie wir empirische Methoden verbessern können, um die Wiederholungsquote deutlich zu erhöhen. Viele neue Entwicklungen wurden angestoßen, um Wissenschaft verlässlicher zu machen. Die Idee von Bayes, die er übrigens schon im 18. Jahrhundert entwickelte, ist eine potenzielle Lösung, die mehr und mehr zum Einsatz kommt.
Was unterscheidet die Bayes-Statistik von der klassischen Statistik?
Die konventionelle Statistik setzt auf Signifikanztestung in theoretisch unendlichen Versuchen. Damit werden Erkenntnisse gewonnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Ereignis eintritt. Je größer die Datenlage, desto besser. Bei der Bayes-Statistik wird dagegen bereits vorhandenes Wissen mit einbezogen, um eine Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen bzw. deren Wahrscheinlichkeit zu ermitteln. Ein Beispiel: Es gibt eine neue, vielversprechende Therapieform und ich möchte herausfinden, ob diese Therapie tatsächlich besser ist als vorherige Therapien. Mit der Bayes-Methode ist das möglich. Zusätzlich kann ich mit ihr berechnen, ob die genutzten Daten ausreichend waren für die Aussage oder nicht.
Welche Statistik-Software ist dafür nötig?
Wir empfehlen R und RStudio als Basis. Um komplexe Modelle berechnen zu können, sollte zusätzlich die Software Stan vorhanden sein. Optional funktioniert es aber auch mit JASP, das ist eine Software, die intuitiv nutzbar und frei verfügbar ist.
Welches Ziel hat Ihr neues Statistik-Buch?
Wir sehen in der Bayes-Methode neue Möglichkeiten für die Experimentalpsychologie. Hier werden Experimente durchgeführt, in denen von jeder Versuchsperson mehrmals und unter verschiedenen Bedingungen Daten gesammelt werden. Unsere Hauptzielgruppe sind Kognitionswissenschaftler, die auf dieser Basis arbeiten und forschen, um neue Erkenntnisse über menschliches Denken und Lernen zu generieren. Mit Hilfe mathematischer Lernmodelle wollen sie erklären, wie die Neurobiologie und das menschliche Lernen funktionieren.
Warum braucht es mathematische Modelle, um menschliches Lernen zu erforschen?
Die Kognitionsforschung nutzt mathematische Modelle, um die kognitiven Prozesse abzubilden, die im Geist bzw. im Gehirn ablaufen. Es werden Parameter geschätzt, die das Lernverhalten beeinflussen und erklären. Werden diese Parameter im Modell verändert, können daraus Rückschlüsse über das reale Lernen gezogen werden. Der Vorteil von mathematischen Modellen ist: Sie sind sehr explizit in ihren Annahmen und Ergebnissen. So können sie zum Beispiel dabei helfen, Therapien zu entwickeln, die genau den Mechanismus erreichen und ändern, der offenbar grundlegend für ein Problem ist. Vielversprechende Ansätze gibt es etwa in der Behandlung von Suchterkrankten.
Beim Lernen spielen neben biologischen Abläufen im Gehirn auch kognitive Vorgänge eine Rolle. Was wirkt stärker: die Biologie oder die Psyche?
Für mich sind es zwei Seiten der gleichen Medaille, denn Lernen ist nicht ausschließlich kognitiv oder biologisch erklärbar. Was passiert beim Lernen? In Rattenversuchen hat sich gezeigt, dass Dopamin eine große Rolle im Belohnungssystem spielt. Das belegen auch die mathematischen Modelle. Der biologische Ansatz sieht also den Mechanismus des dopaminergen Lernens. Beim kognitiven Ansatz spielt dagegen der Denkprozess eine wesentliche Rolle: Ich mache mir Gedanken über die Zukunft, überlege Konsequenzen, nutze vorhandene Erfahrungen und verhalte mich entsprechend. Ist es also eher das dopaminerge Signal oder sind es die Gedanken über Konsequenzen, die dazu führen, dass sich eine Person so verhält, wie sie es tut? Die Kognitionsforschung berücksichtigt beides.
Herr Professor Schad, vielen Dank für das Gespräch.
Das Buch Introduction to Bayesian Data Analysis for Cognitive Science ist erschienen bei Chapman & Hall / CRC und ist online kostenfrei verfügbar.