Das Abitur ist geschafft, die Feiern längst vorbei. Für angehende Erstsemester wird es jetzt richtig spannend. Viele ziehen für das Studium in eine neue Stadt, der gewohnte Freundeskreis verteilt sich in alle Richtungen. Dieser aufregenden Zeit sehen einige junge Menschen allerdings mit gemischten Gefühlen entgegen. Wie sie mit ihrer neu gewonnenen Freiheit souverän umgehen und neuen Erfahrungen und Bekanntschaften optimistisch entgegenblicken können, verrät Prof. Dr. Eva Asselmann, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der HMU.
Frau Prof. Asselmann, nach dem Abitur erleben junge Menschen einen Mix aus Vorfreude und Furcht, wenn sie über ihren nächsten Lebensabschnitt nachdenken. Wie erklären Sie diese Ambivalenz?
Das ist völlig normal. Wir alle erleben Übergänge ambivalent, weil sie gleichzeitig Chancen und Unsicherheiten mit sich bringen. Einerseits locken neue Möglichkeiten, Abenteuer und Selbstbestimmung – andererseits verlieren wir gewohnte Strukturen, Sicherheiten und das vertraute Umfeld. Psychologisch gesprochen aktiviert das unser Stresssystem: Das Herz schlägt schneller, die Gedanken kreisen, wir sind aufmerksamer. Genau das kann sich aber auch positiv auswirken, weil es uns wach und lernbereit macht. Angst und Vorfreude liegen also dicht beieinander – und beides gehört dazu.
Welche psychologischen Strategien können Studienanfänger:innen, die Familie, Freunde und vertraute Strukturen hinter sich lassen, bei Unsicherheiten helfen?
Hilfreich ist es, kleine Schritte zu gehen. Niemand muss sofort alles neu aufbauen. Es reicht, sich zunächst auf einen überschaubaren Kreis zu konzentrieren, etwa die Mitbewohner:innen, Kommiliton:innen im Seminar oder eine Hochschulgruppe. So entstehen nach und nach neue Anker. Außerdem hilft es, die eigene innere Stimme wohlwollend zu halten. Statt sich für Nervosität zu kritisieren, kann man sich sagen: „Es ist in Ordnung, dass ich aufgeregt bin. Das zeigt, dass mir dieser neue Abschnitt wichtig ist.“ Diese Selbstfreundlichkeit nimmt Druck heraus.
Wie schaffen es junge Menschen, alte Freundschaften auch auf Entfernung zu pflegen und gleichzeitig offen für neue Bekanntschaften zu bleiben?
Beides ist möglich, wenn man bewusst Räume dafür schafft. Alte Freundschaften lassen sich mit regelmäßigen kurzen Updates, Sprachnachrichten oder festen Telefonabenden erstaunlich gut lebendig halten – auch wenn man sich seltener sieht. Gleichzeitig hilft es, im neuen Umfeld aktiv Gelegenheiten zu suchen, um Menschen kennenzulernen: gemeinsam essen gehen, Lerngruppen bilden, sich bei Aktivitäten anmelden. Wer die Balance zwischen Bewahren und Öffnen findet, gewinnt das Beste aus beiden Welten.
Haben Sie konkrete Ratschläge für Abiturientinnen und Abiturienten, wie sie diesen aufregenden neuen Lebensabschnitt gelassen und mit Freude erleben?
Wichtig ist, die Erwartung an Perfektion loszulassen. Nicht jeder Tag muss aufregend und erfüllt sein, gerade am Anfang gibt es auch Durststrecken. Es lohnt sich, kleine Routinen zu entwickeln, die Halt geben: Sport, ein Spaziergang, Tagebuch schreiben oder ein fester Anruf zuhause. Gleichzeitig hilft es, Offenheit zu kultivieren, Neues auszuprobieren und über den eigenen Schatten zu springen. Wer das Studium als Entdeckungsreise betrachtet, erlebt weniger Druck und mehr Freude.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Asselmann.
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